Weingarten – Die Rechtschreibkompetenz von Schülerinnen und Schülern wird vielfach bemängelt. Ausbildungsbetriebe und Hochschulen mahnen seit Jahren, dass junge Menschen immer mehr Fehler beim Schreiben machen. „Die Rechtschreibfähigkeit von Grundschülerinnen und -schülern hat in den vergangenen Jahren erneut deutlich abgenommen“, bestätigte Psychologe Dr. Peter Birkel bei einem Besuch an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH). Zusammen mit dem Mitautor Daniel Berwanger stellte der 82-Jährige bei PH-Rektorin Professorin Dr. Karin Schweizer die Neueichung des Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Tests für zweite und dritte Klassen (WRT 2+) vor. Diese dritte, vollständig überarbeitete und neu normierte Auflage des Rechtschreib-Tests ist vor kurzem erschienen.
Birkel, der bereits zahlreiche Tests für den Bereich Rechtschreiben entwickelt hat, lehrte früher an der PH im Fach Pädagogische Psychologie. Berwanger war im selben Fachbereich zwei Jahre akademischer Mitarbeiter. Seit August vergangenen Jahres leitet er, nach mehrjähriger Unterrichtspraxis, unter anderem im Fach Deutsch, die Grundschule Wolfegg. Das aktuelle gemeinsame, über 200 großformatige Seiten umfassende Manual des WRT 2+ umfasst Daten, Statistiken, Tabellen und Grafiken. Bundesweit erhobene Testdaten von über 30.000 Schülerinnen und Schülern wurden ausgewertet und wissenschaftlich eingeordnet. „Mit Hilfe des WRT 2+ kann objektiv und vergleichbar überprüft werden, inwieweit Schülerinnen und Schüler der zweiten und dritten Grundschulklassen eine sorgfältig ausgewählte Stichprobe von Wörtern, die dem Rechtschreib-Grundwortschatz der zweiten Klasse angehören, richtig schreiben können“, erläuterte Daniel Berwanger. Für die dritte WRT 2+-Auflage wurden Test-Kurzformen neu entwickelt und erstmals normiert. Sie beinhalten jeweils 16 Items (Bearbeitungszeit: circa 30 Minuten) und ermöglichen einen schnellen Überblick über die Rechtschreibfähigkeit der Kinder. Die in der aktuellen Auflage neu normierten Langformen (Bearbeitungszeit: etwa 45 Minuten) umfassen 43 Items und dienen der intensiven Diagnose der Rechtschreibfähigkeit. In beiden Formaten stehen erstmals auch separate Normen für ausschließlich deutschsprachige Kinder und Kinder mit einer anderen Muttersprache zur Verfügung. Eingesetzt wurden die Tests Mitte und Ende der zweiten Klasse sowie Anfang der dritten Klasse. Für die Kurzformen gab es einen zusätzlichen vierten Einsatz-Zeitpunkt in der Mitte der dritten Klasse. In die Benotung einfließen sollten die Ergebnisse jedoch nicht, so Berwanger.
Die Neueichung des Rechtschreibtests WRT 2+ habe viel mehr Zeit in Anspruch genommen als ursprünglich vorgesehen, sagte Birkel. Eigentlich hätten zwei Schuljahre ausreichen können, um genügend Schülerdaten zu sammeln. Doch die Corona-Pandemie mit ihren Schulschließungen behinderte die Durchführung der Tests maßgeblich. So mussten zu den ursprünglich geplanten Schuljahren 2017/18 und 2018/19 noch die Schuljahre 2019/20 und 2020/21 hinzugenommen werden. „Im Schuljahr 2021/22 schließlich wurde das Hauptaugenmerk auf die neu entwickelten Kurzformen gelegt“, berichtete Birkel.
Durchgeführt wurden die freiwilligen Tests an Schulen in ganz Deutschland – ohne markante Ergebnisunterschiede. Lediglich Bayern habe aus Zeitgründen eine Teilnahme verweigert, so Birkel. Über ein Forschungsprojekt der Universität Regensburg, das sich mit dem schriftlichen Ausdrucksvermögen von Schülern beschäftigte und die Rechtschreib-Tests in Kurzform gerne für die Untersuchung nutzte, konnten dennoch zahlreiche Daten für Bayern erhoben werden – „gewissermaßen durch die Hintertür“, so Birkel.
Warum nimmt die Rechtschreibfähigkeit ab?
Für die erneut gesunkene Rechtschreibfähigkeit von Grundschülern können verschiedene Gründe ausgemacht werden, sagten Birkel und Berwanger. Zum einen lesen die Kinder und Jugendlichen heute zu wenig. Zudem werde vor allem über Kurznachrichtendienste kommuniziert, in denen Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung eine untergeordnete Rolle spielen. Auch Veränderungen in Gesellschaft, Sozialstruktur und Fehlerkultur sowie bei methodisch-didaktischen Prinzipien hätten zu einem sinkenden Stellenwert der Rechtschreibung geführt. Darüber hinaus habe sich die Zusammensetzung der Schülerschaft durch Zuwanderung stark verändert. Bei den ersten Tests im Jahr 1994 habe der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund noch bei 7 bis 8 Prozent gelegen, 2007 bei 14 Prozent und bei der jetzigen Erhebung bei 23 bis 24 Prozent, berichtete Birkel. Dies sei aber keineswegs der Hauptgrund für die deutlich abnehmende Rechtschreibfähigkeit bei Grundschülern. Birkel: „Auch bei ausschließlich deutschsprachigen Kindern ist die Rechtschreibkompetenz stark gesunken.“ Die Liste der möglichen Gründe beansprucht nun keine Vollständigkeit, Fakt ist jedoch, dass die Rechtschreibung einen höheren Stellenwert bekommen sollte.
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Text und Foto: Barbara Müller
Bildtext: Psychologe Dr. Peter Birkel (rechts) und Rektor Daniel Berwanger stellten PH-Rektorin Professorin Dr. Karin Schweizer die Neueichung des Weingartener Rechtschreibtests WRT 2+ für zweite und dritte Klassen vor.