Der Begriff der „Menschenwürde“ stand Ende April im Fokus eines zweitägigen internationalen Symposions, das vom Fach Katholische Theologie der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH) im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Begegnung auf dem Martinsberg“ ausgerichtet wurde. In verschiedenen Veranstaltungen beschäftigten sich die Teilnehmenden, darunter auch zahlreiche Studierende, mit exegetischen, historischen, systematischen, religionspädagogischen sowie interreligiösen und interkulturellen Dimensionen der „Würde des Menschen“.
Derzeit gelte die Menschenwürde als derjenige moralisch-rechtliche Wert, der global gesehen eine recht große Zustimmung erfahre, sagte apl. Professor Dr. Herbert Rommel vom Fach Katholische Theologie / Religionspädagogik, in seiner Einführung zum öffentlichen Abendvortrag mit Professor Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeld. Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschenwürde global enorm unter Druck gerate. Da gebe es einen konkreten Druck, der aus der sozialen Ungerechtigkeit resultiere. Die soziale Schere zwischen Arm und Reich gehe weltweit immer weiter auseinander. Es gebe Völker und Menschen, die andere abwerten und ausgrenzen. Unter theoretischem Druck stehe der Begriff zudem, da es nicht wenige Stimmen in der Wissenschaft gebe, die behaupteten, dass die Menschenwürde nicht existiere und nur eine bloße Illusion des menschlichen Bewusstseins sei, so Rommel weiter. „Wir alle sind daher aufgefordert, über die Menschenwürde nachzudenken.“
Der Referent des Abends, Professor Bielefeld, sei ein international anerkannter Experte zu den Themen „Menschenwürde“ und „Menschenrechte“, betonte Rommel. Bielefeld hat in Tübingen und Bonn Philosophie, Katholische Theologie und Geschichte studiert, war Direktor des Instituts für Menschenrechte in Berlin und wurde mit vielen Preisen, darunter dem Bundesverdienstkreuz, ausgezeichnet. Seit 2009 hat er den neu geschaffenen Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Sein Vortrag an der PH mit dem Titel „Menschenwürde als Anachronismus?“ habe ein „verdächtiges Fragezeichen“, sagte Bielefeld. Die Antwort laute zwar eindeutig nein. Fragen aber blieben dennoch im Raum.
In sieben Positionen legte Bielefeld dar, wie und warum die Menschenwürde derzeit in Frage gestellt werde und welche Konsequenzen es hätte, wenn sie aus dem moralischen und rechtlichen Vokabular gestrichen würde. Er zeigte auf, warum man Menschenwürde nicht zu- oder aberkennen kann und warum Menschenwürde und Menschenrechte nicht voneinander zu trennen sind.
Der durch den Philosophen und Ethiker Peter Singer popularisierte Speziesismus-Vorwurf beispielsweise – ein im Deutschen bislang wenig verwendeter Begriff – wende sich gegen die „unrechtmäßige Selbstprivilegierung“ der Menschen. Im Kontext der gegenwärtigen Ökokrise erfahre dieser Vorwurf neue Durchschlagskraft, so Bielefeld. Er selbst finde es gut, wenn neue Ideen vorgestellt würden und präsent seien, betonte er. „Wir kommen mit dem traditionellen klassischen Vokabular des Humanismus allein nicht weiter.“
„Warum eigentlich nicht?“, fragte er mit Blick auf eine geforderte Ausweitung der Würde-Semantik. Eine Aufwertung anderer Lebewesen bedeute keine Abwertung der Menschen. Im Zuge der vielen aktuellen Krisen sei es vielmehr erforderlich, ein verstärktes Bewusstsein der Zusammengehörigkeit aller Lebewesen zu entwickeln. Dies berge allerdings Gefahren der Überspannung und Trivialisierung zentraler Begriffe wie etwa Recht, Freiheit und Gleichheit, warnte Bielefeld. „Da bin ich nicht mehr dabei.“ Er regte an, auf einem „distinkten“ Begriff von Menschenwürde als etwas Besonderem zu insistieren.
Die Positionen in der Debatte um Tierrechte und Ökorechte zeigen laut Bielefeld eine komplexe Diskurslandschaft und ganz unterschiedliche Ansätze – von Utilitarismus und Mitleidsethik über Spirituelle und Naturalisten bis hin zu Vertretern Kantischer Positionen. Weitergehende Positionen propagierten teils den Einschluss von Pflanzen oder ganzen Ökosystemen in den Kreis möglicher Rechtssubjekte, so Bielefeld. Als Beispiel führte er David Boyd an, der seit 2018 UN-Sonderberichterstatter über Menschenrechte und Umwelt ist. In seinem Buch „The Rights of Nature“ benenne Boyd Rechte von individuellen Tieren und Menschen, Rechte von Arten, von Ökosystemen und Rechte der „Mutter Erde“. „Die Rechte der Menschen sind nicht verschwunden, aber evolutionsbiologisch nivelliert“, so Bielefeld.
Auch in der Tier- und Ökorechtsdebatte würden aber Appelle ausschließlich an Menschen gerichtet. Es gebe eine unabweisbare Verantwortung des Menschen, so der Experte weiter. „Der Mensch allein wird zur Verantwortung gezogen.“ Menschenwürde verstehe sich als inklusiv-solidarisches Verständnis von Würde innerhalb der Menschheit. Menschenrechte seien als rechtliche Institutionalisierung der gebotenen Achtung vor der gleichen Würde aller zu sehen. „Menschenrechte sind fundamental anders als etwaige Rechtsschutzpositionen für Tiere“, so Bielefeld. Es sei daher erforderlich, dass die Menschen ethisch, politisch und rechtlich die Verantwortung auch für nicht-menschliches Leben übernehmen. Es gelte, erinnerte der Experte an Albert Schweitzer, „Ehrfurcht vor dem Leben“ sehr weit zu verstehen. Es sei aber immer der Mensch, der hier Verantwortung für das Leben übernehmen müsse.
Die rege abschließende Diskussions- und Fragerunde machte deutlich, wie vielschichtig und wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenwürde ist.
Text und Fotos: Barbara Müller