Die Vielfalt des Dialekts ist im Alltag der Region sehr lebendig. Auch in der Schule und Hochschule steht dieses Sprachregister auf vielen Ebenen im Fokus. Im Fach Deutsch in der Lehramtsausbildung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH) beschäftige man sich intensiv mit der Frage „Darf ich auch Dialekt sprechen?“, sagte PH-Professorin Dr. Christiane Hochstadt in ihrer Begrüßung zur Auftaktveranstaltung der Tagungsreihe „Dialekt und Schule“ im Kloster Bad Schussenried. Anliegen der Tagungsreihe sei es, eine differenzierte sprachdidaktische und sprachkritische Betrachtung vorzunehmen, die sprachliche Vielfalt des Dialekts aufzuzeigen und durch dessen Etablierung einem Verlust an Mehrsprachigkeit entgegenzuwirken. Zahlreiche Teilnehmende, darunter Lehrende, Studierende und Dialekt-Freunde waren gekommen, um sich in dieser ersten von drei Veranstaltungen mit dem Schwerpunktthema „Dialekt im Südwesten Deutschlands“ zu beschäftigen. In den zwei weiteren Veranstaltungen des Faches Deutsch im Herbst dieses Jahres werde man sich dann konkret mit Dialekt im Unterricht und auch an der Hochschule auseinandersetzten, kündigte Dr. Anny Schweigkofler Kuhn, Akademische Mitarbeiterin im Fach Deutsch, an.
„Dialekt ist ein Teil von mir persönlich“, sagte PH-Kanzler Dr. Uwe Umbach in seinem Grußwort und verwies auf seine württembergisch-badische Herkunft. Er bedankte sich im Namen der PH-Hochschulleitung bei den Initiatorinnen und Organisatorinnen für diese interessante Veranstaltung im schönen Ambiente des klösterlichen Bibliothekssaals. Das Kloster Bad Schussenried mit seiner Mundartbibliothek sei der richtige Ort für eine solche Veranstaltung.
Heterogenität der deutschen Sprache
„Dialekt ist kein schlechtes Hochdeutsch“, betonte Dr. Tobias Streck in seinem Vortrag „Südwestdeutschland aus variationslinguistischer Perspektive“. Der Sprachwissenschaftler und Leiter der Arbeitsstelle Badisches Wörterbuch ist Dozent an der Universität in Freiburg und erforscht seit längerem die Vielfalt und Besonderheiten südwestdeutscher Dialekte. Die deutsche Sprache zeichne sich durch Heterogenität aus. „Sie ist ein Gesamtsprachsystem, das sich aus verschiedenen Ausschnitten oder Subsystemen zusammensetzt, den sogenannten Varietäten“, sagte er. Einzelne Varietäten seien beispielsweise Dialekte, Jugendsprachen oder Fachsprachen. Indem Sprechende verschiedene Varietäten aktiv beziehungsweise passiv beherrschten, verfügten sie über eine „besondere Form der Mehrsprachigkeit“. Dialekte seien an einen geografischen Raum gebunden und meist lokal oder kleinregional verbreitet, betonte der Linguist und verwies auf unterschiedliche regionale Ausprägungen des Alemannischen in Grammatik und Syntax.
Durch neue kommunikative Bedingungen in den vergangenen Jahrzehnten und durch Veränderungen der Arbeitswelt, der Mobilität oder auch der Werte seien sprachliche Varietäten von Grund auf verändert worden, so Streck weiter: „Ein großes Spektrum des raumgebundenen Sprechens hat die traditionellen Basisdialekte abgelöst.“ Der Kontakt mit dem Standarddeutschen spiele dabei eine wichtige Rolle. Neue standarddeutsche Wörter etwa würden in Südwestdeutschland nicht mehr dialektisiert, sondern unverändert in den Sprachgebrauch übernommen. Die Dialektkompetenz, dies zeigten aktuelle Studien, werde von Generation zu Generation weniger.
Der Rhein entwickle sich mehr und mehr zur Sprach- und Sprachgebrauchsgrenze, gab der Sprachwissenschaftler zu bedenken. In den elsässischen Dialekt etwa seien kaum neue Wörter aus der deutschen Standardsprache aufgenommen worden. Während in der Schweiz im Alltag Hoch- und Höchstalemannisch gesprochen werde, existiere im südwestdeutschen Sprachraum ein breites Variationsspektrum. Die Ausbreitung regionaldialektaler und standardnaher Sprechweisen habe sich zu Ungunsten traditioneller Basisdialektformen ausgewirkt. Untersuchungen in Waldshut-Tiengen beispielsweise haben laut Streck ergeben, dass nur noch über 65-Jährige praktisch ausschließlich Dialekt sprechen. Bei den 18- bis 20-Jährigen hingegen sei keine Dialektkompetenz mehr vorhanden. Grundsätzlich gelte, so Streck, dass Kinder für ihre Schullaufbahn und berufliche Bildung auf gute Kompetenzen in der Schulsprache, also in Standarddeutsch, angewiesen seien. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass Dialekt-Standard-Situationen als „Formen von innerer Mehrsprachigkeit“ sich nur graduell von mehrsprachigen Situationen mit „echten“ Sprachen unterscheiden.
Dialekt-Statements von Studierenden
Mit dem Thema Dialekt beschäftigten sich auch drei PH-Studierende aus dem Fach Deutsch in ihren Statements. Sabrina Lohrer berichtete von ihrer Abschlussarbeit über Dialekt im Rahmen ihres PH-Lehramtsstudiums. Ihr Ziel sei es, die sprachliche Vielfalt zu bewahren. Die persönliche Einstellung zum Dialekt habe, so ihre eigenen Erfahrungen, Einfluss auf den Gebrauch. Sie habe sich selbst dabei ertappt, dass sie Angst gehabt habe, als minderwertig zu erscheinen, wenn sie abweichend von der Standardsprache spreche. Dem müsse entgegengewirkt werden, sagte sie, und appellierte an die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, ihre eigenen Dialekterfahrungen an sie weiterzugeben. Hendrik Schuler entkräftigte vorurteilsbehaftete Irrtümer im Zusammenhang mit dem Schwäbischen. Es sei keineswegs so, dass der Schwabe falsche Artikel verwende, betonte er und zeigte – mit Verweis auf den im 16. Jahrhundert parallel vorkommenden männlichen und weiblichen Wortgebrauch –, warum die Verwendung von „der Butter“ genauso richtig sei wie „die Butter“. Auch seine Gsälz-Logik mit dem Kollektivpräfix G(e) und die Logik des schwäbischen „sch“ vor p und t statt des standarddeutschen „s“ überzeugten. „So schwäbisch wie möglich, so standarddeutsch wie nötig“, ermunterte er die Zuhörenden. Mundart schaffe Identität und sei ein wichtiges Mittel der Integration. Linda Blum warb für einen Dialektgebrauch auch im Unterricht, um die aktive und passive Mehrsprachigkeit der Lernenden sowie deren kommunikative Kompetenz zu fördern. Dafür brauche es aber mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über die sprachlichen Varietäten, mehr ausgearbeitete didaktische Konzepte und Unterrichtsmaterialien, mehr Fort- und Weiterbildung ausgebildeter Lehrerinnen und Lehrer sowie mehr Fokussierung in der Lehrer:innenbildung.