Gewaltprävention hat einen hohen Stellenwert für unsere Sicherheit. Sie ist daher auch Teil des Bildungsauftrags von Lehrerinnen und Lehrern. An der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH) gebe es im Fach Erziehungswissenschaft immer im Sommersemester ein Seminar zum Thema Gewaltprävention, das mit einer schriftlichen Modul-Prüfung abschließe, berichtete Akademischer Rat Dr. Ralf Schieferdecker. Erste interne Vorlesungen im Rahmen des diesjährigen Seminars „Gewalt im Netz – Grenzen pädagogischer Professionalität“ haben bereits stattgefunden. Auch hochschulöffentliche Veranstaltungen stehen in der Seminarreihe auf dem Programm. Hierfür kooperiere die PH mit dem Polizeipräsidium Ravensburg, der Beratungsstelle Brennessel Ravensburg, der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen ZEBRA BW, dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, U25 Biberach und anderen, so Schieferdecker.
Den hochschulöffentlichen Auftakt machte Kriminalhauptkommissarin Evelyn Lang vom Referat Prävention des Polizeipräsidiums Ravensburg mit ihrem Vortrag „Sicher unterwegs – zur Verhinderung von sexueller Gewalt im öffentlichen Raum“. Der gut gefüllte Vorlesungssaal mit rund hundert Studierenden und externen Gästen zeigte das große Themeninteresse. Sachlich, umfassend und praxisorientiert informierte Evelyn Lang ihre Zuhörerinnen und Zuhörer, was genau strafbar ist, wie hoch das Risiko eines sexuellen Übergriffs ist und wie man Gefahren reduzieren kann.
Das Strafgesetzbuch schütze die sexuelle Selbstbestimmung, so die Referentin. Strafbar sei, wenn eine sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers vorgenommen werde. Dies gelte auch für sexuelle Belästigungen beispielsweise durch Berührungen am Oberschenkel oder Küsse am Hals, sowie – und das sei neu – für sexuelle Übergriffe aus einer Gruppe. Die Aussage des Opfers habe dabei, sofern sie glaubhaft sei, Beweiskraft.
Der Anteil sexueller Straftaten im öffentlichen Raum sei nicht so groß, wie dies oft durch die Medien suggeriert werde, sagte Evelyn Lang und nannte Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik der Jahre 2022 und 2021. In beiden Jahren machten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade mal 1 Prozent aus, während Diebstahl bei 20 Prozent (2021: 18 Prozent), Rohheitsdelikte bei 17 Prozent (2021: 16 Prozent) und Sonstige bei 62 Prozent (2021: 65 Prozent) lagen. „Das Dunkelfeld bei den sexuellen Straftaten im öffentlichen Raum ist allerdings groß. Die Zahlen benennen nur das Hellfeld“, gab die Referentin zu bedenken.
Es gebe Möglichkeiten, die Gefahren zu reduzieren, betonte Evelyn Lang und gab wertvolle Tipps: „Bereiten Sie sich gedanklich vor und planen Sie Ihren Weg gezielt, nutzen Sie gut beleuchtete und belebte Straßen, Wege und Plätze, wählen Sie Parkplätze an belebten Straßen und suchen Sie sich im ÖPNV Ihren Sitzplatz ganz bewusst – am besten zum Mittelgang hin in der Nähe und vor vertrauenswürdigen Personen, die im Ernstfall alles sehen und Ihnen zu Hilfe kommen können.“ Die Kriminalhauptkommissarin riet, Augen und Ohren immer offenzuhalten, auf das eigene Bauchgefühl zu achten und sich nicht etwa durch Kopfhörer oder Handy ablenken zu lassen. Die Bekleidung spiele Untersuchungen zufolge keine nennenswerte Rolle, aber Körperhaltung und Stimme seien wichtig. „Stehen Sie gegebenenfalls auf, zeigen Sie Selbstbewusstsein und sagen Sie laut: ‚Lassen Sie mich in Ruhe‘. Das „Sie“ baue eine persönliche Distanz auf, so die Referentin weiter. Hilfreich sei es auch, eventuell die Straßenseite zu wechseln oder Passanten auf sich aufmerksam zu machen und konkret um Hilfe zu bitten. „Gehen Sie auf Abstand, vermeiden Sie Diskussionen und lassen Sie sich nicht provozieren.“ Evelyn Lang verwies auf die hilfreiche Handy-Regel: H = Haltung (selbstbewusst), A = Aufmerksamkeit und Abstand, N = Notruf 110 bei drohender Gefahr, D = dominant auftreten, wehren, durchhalten und Y = Yell, gellender Schrei, nach Hilfe rufen. „Sie haben auch das Recht auf Notwehr“, so die Referentin. Wer eine Tat begehe, um einen rechtswidrigen Angriff abzuwehren oder das Opfer zu verteidigen, handle nicht rechtswidrig.
Von Waffen zur Abwehr von Angreifern riet Evelyn Lang eher ab. Diese böten eine trügerische Sicherheit, erhöhten die eigene Risikobereitschaft, führten nicht selten zur Gewalteskalation und zu einer Täter-/Opferverwechslung durch Außenstehende. Gute Hilfsmittel für den Notfall seien der Schrillalarm (Taschenalarm) und das Handy mit seiner Notruffunktion.
Belästigungen am Arbeitsplatz – verbal, nonverbal oder physisch – könnten jede und jeden treffen, gab die Referentin zu bedenken. „Wenn es sich anfühlt wie ein Übergriff, dann ist es auch ein Übergriff“, sagte sie und: „Sie haben das Recht, sich zu wehren.“ Sinnvoll sei es, sich an vertrauensvolle Verantwortliche zu wenden. An der PH Weingarten seien dies beispielsweise die Beauftragten für Fälle sexueller Belästigung Dr. Kristin Rheinwald und Professor Dr. Joachim Kunstmann.
In Sachen Zivilcourage riet Evelyn Lang: „Helfen Sie, aber bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr. Prägen Sie sich Tätermerkmale ein, kümmern Sie sich um das Opfer, informieren Sie die Polizei und sagen Sie als Zeuge aus.“ Letzteres sei für die weiteren Ermittlungen von hoher Wichtigkeit.
„Da waren gute Informationen und echt tolle Tipps dabei, die im Alltag direkt anwendbar sind“, lobten Studierende den Vortrag. „Das gibt Sicherheit und nimmt die Angst.“
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Text und Fotos: Barbara Müller