Weingarten – In welcher Verfassung ist Deutschland? Wie gut ist unser Grundgesetz gegen feindliche Angriffe gesichert? Über diese und andere Fragen diskutierten bei einer Podiumsdiskussion in der PH Weingarten die Bundestagsabgeordneten Heike Engelhardt (SPD), Axel Müller (CDU) und Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Juniorprofessor Dr. Steve Kenner (PH) unter der Moderation von Jürgen Alexander Bader (Leiter der Volkshochschule Weingarten) im gut besuchten Festsaal der PH mit Studierenden und Gästen. Der Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser (FDP) konnte aus terminlichen Gründen nicht dabei sein.
Die Veranstaltung fand in einer Kooperation zwischen der Volkshochschule Weingarten (vhs) und dem PH-Arbeitsbereich Politikwissenschaft und ihre Didaktik statt – mit Impulsen von drei Studierenden des Fachs Politik. Ursprünglich sei der Austausch für knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl geplant gewesen, berichtete Bader. Mit den Neuwahlen am 23. Februar 2024 stehe man jetzt fast schon im Wahlkampf. Es gelang ihm als Moderator sehr gut, die Podiumsdiskussionsteilnehmer immer wieder zu den eigentlichen Sachthemen zurückzuführen.
Die PH stehe für Werte wie Offenheit, Wertschätzung, Kooperation sowie Nachhaltigkeit, sei von Leistungsbereitschaft geprägt und verfolge eine innovative und nachhaltige Bildung, sagte PH-Rektorin Professorin Dr. Karin Schweizer in ihrer Begrüßung. Sie freue sich daher sehr, dass die Veranstaltung auf dem Martinsberg stattfinde. Das Grundgesetz sei Symbol für Neuanfang und Transformation einer Gesellschaft und schreibe Werte wie Menschenwürde, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und andere fest, die es zu erhalten gelte.
Wie gut ist das Grundgesetz geschützt?
In einem ersten Impuls gab der Studierende Timon Schwarz einen kurzen Abriss zur Historie des Grundgesetzes, das den Boden für die bislang längste Demokratie in der deutschen Geschichte geschaffen habe. Er hob dabei die Artikel 1 (die Würde des Menschen ist unantastbar), Artikel 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Artikel 3 (alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich) hervor, die als Reaktion auf das Naziregime von Bedeutung waren. Schwarz verwies aber auch auf Artikel 20 – „die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ – und auf Artikel 79, der festschreibt, dass das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Seine Frage an das Podium: Wie gut ist unser Grundgesetz gegen feindliche Angriffe geschützt?
Er denke, dass in diesem Zusammenhang auch vom Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik gesprochen werden müsse, sagte Axel Müller. Das Bundesverfassungsgericht garantiere den Schutz des Grundgesetzes. Es stehe außer Frage, dass alle an der Regierung beteiligten Parteien für Demokratie einstehen, betonte Heike Engelhardt. Das Grundgesetz sei in der Vergangenheit immer wieder angepasst worden und biete die Möglichkeit, gesellschaftliche Veränderungen einzubringen. Ihr persönlich sei besonders wichtig, dass in Artikel 3 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben sei. Das Grundgesetz sei gut geschützt, aber nicht gut genug, gab Agnieszka Brugger zu bedenken. Was passiere beispielsweise, wenn in einem Bundesland eine nicht demokratische Regierung an die Macht käme. Die Menschen müssten für die Demokratie einstehen, es komme auf alle demokratischen Parteien an. Professor Kenner regte an, das Verfassungsgericht im Grundgesetz zu verankern. Aktuell ist die Zusammensetzung und die Arbeit des obersten deutschen Gerichts, betonte Professor Kenner, nur über ein einfaches Gesetz geregelt, das jederzeit mit einer Regierungsmehrheit geändert werden könne.
„Warum nicht auch einmal der Opposition zustimmen, wenn diese gute Ideen einbringt?“, fragte Agnieszka Brugger. Starre politische Abgrenzungen seien für das gemeinsame Ziel „Demokratie“ eher hinderlich. Und auch Heike Engelhardt regte an, Mehrheiten unabhängig von Koalitionen über Fraktionen hinweg zu suchen. Bezüglich der Verankerung des Bundesverfassungsgerichtes im Grundgesetz deuteten alle drei Abgeordneten an, dass eine parteiübergreifende Einigung kurz bevorstehe und noch vor den nächsten Wahlen vom Bundestag beschlossen werde.
Populismus in der Politik
Die Rhetorik werde in Deutschland populistischer – auch bei den demokratischen Parteien, kritisierte Lena Berg im zweiten Studierenden-Impulsreferat. Das schwindende Vertrauen in die Politik werde gezielt missbraucht, Inhalte in den sozialen Medien würden zunehmend manipulativ. Die Parteien müssten lernen, soziale Medien konstruktiv und demokratiegerecht zu nutzen. Populistisch überzeichnete Botschaften machten die Demokratie kaputt, meinte auch Agnieszka Brugger. Der Verbreitung von Falschinfos müsse Einhalt geboten werden, sagte sie und verwies auf das Beispiel des Taiwan FactCheck Center und dessen Ansinnen, Desinformationen zu erkennen, zu verifizieren und die Wahrheit möglichst wirkungsvoll zu verbreiten. Wichtig sei es, eine Botschaft verständlich zu kommunizieren und sich vorab zu überlegen, was man wirklich rüberbringen wolle, so Heike Engelhardt. Genauso wichtig sei es aber auch, ins Gespräch mit Menschen zu gehen, Ansprechpartner zu sein und zuzuhören. Es mangle leider häufig an Medienkompetenz, bedauerte Müller. Den Begriff alternative Fakten etwa gebe es nicht, es handle sich dabei schlichtweg um die Unwahrheit. Hier seien die Medien, aber auch die Parteien gefordert. „Es bedarf der Ausweitung politischer Medienbildung von klein auf und bis ins hohe Alter“, ergänzt Professor Kenner.
Politische Bildung als Querschnittsaufgabe
Politische Bildung sei eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, forderte Paula Windholz im dritten studentischen Impulsreferat. Politische Bildung erfordere mehr als die Vermittlung von politischen Wissen. Auch Erwachsene könnten diesbezüglich ihre Kompetenzen stärken. Gerade in Zeiten demokratiefeindlicher Strömungen sei politische Bildung von einer hohen Wichtigkeit. Wer politische Bildung zurückfahre, handle verantwortungslos. Auch unter der Ampelregierung sei die Demokratieförderung leider nicht vorangekommen, bedauerte Paula Windholz und fragte, warum der Prozess bislang gescheitert sei.
Heike Engelhardt bedauerte, dass das Demokratiefördergesetz bislang nicht verabschiedet worden sei. Auch zur Forderung politische Bildung mit Verfassungsrang auszustatten äußerte sich Engelhardt: „Es wäre toll, wenn politische Bildung Verfassungscharakter hätte.“ Agnieszka Brugger unterstützte die Impuls-Aussagen der Studierenden. An der „Ravensburger Ampel“ sei die Demokratieförderung nicht gescheitert, merkte sie schmunzelnd an. Demokratieförderung stehe auch bei der CDU auf der Agenda, sagte Axel Müller. „Wir Politiker haben auch einen Demokratieförderauftrag.“ Professor Kenner appellierte an alle, sich einzumischen und politische Bildung vor Ort zu betreiben und verweist dabei auf den Charakter politischer Bildung: „Politische Bildung ist mehr als Demokratie zu lernen und mehr als Präventionsarbeit. Sie befördert analytisches Denken, politisches Urteilen und Handeln und einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse.“
Ist Deutschland in guter Verfassung?
„Ist Deutschland in guter Verfassung?“ lautete die Abschlussfrage. „Wir sind noch in einer guten Verfassung, aber es wird schwieriger und war schon besser“, sagte Axel Müller. Noch sei Deutschland in einer guten Verfassung, stimmte Heike Engelhardt zu. „Doch wir müssen dafür einstehen, die Demokratie stärken und dafür kämpfen.“ Wichtig sei es, junge Menschen für die Verfassung zu begeistern und zur demokratischen Mitarbeit zu motivieren, damit sie nicht abgehängt würden. „Wir sind besser, als wir denken, dennoch braucht unsere Verfassung Schutz“, sagte Agnieszka Brugger und verwies auf bestehende Risiken. „Wir alle müssen uns der Stärke der Vielfalt bewusst sein oder bewusst werden.“ Die Vorteile der Demokratie müssten stärker herausgestellt werden, forderte Professor Kenner abschließend. Demokratie verkörpere eine lebendige Gesellschaft. Es sei ein Geschenk, mitmachen und mitgestalten zu können. Der gemeinsame Appell aller Beteiligten zum Abschluss: „Gehen Sie am 23. Februar wählen! Stärken Sie die Demokratie!“
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Text und Foto: Barbara Müller